Der Stalker

Herr Buschbart klingelt

"Bei euch im Haus wurde gestern eingebrochen", empfing mich Iris, die während meiner Reisen regelmäßig meine Katze versorgt. Und obwohl es gelassen klang, war der Schreck, den das Polizeiplakat im Hauseigang ihr versetzte, noch nachzuspüren. Zweifelsohne hatte sie unwillkürlich auf meine Wohnung getippt. Verwaist auf der obersten Etage und als Nachbarn keine wachsame Großfamilie, keine Karate-Schule, sondern eine bettlägerige, junge Frau. Wenn das nicht nach Einbruch schreit!

Zu meinem Glück hat der taube Spitzbube den Schrei nicht vernommen und sich mit einer kleineren Wohnung im zweiten Stock begnügt. Auch sonst keine Koryphäe auf seinem Gebiet, hatte er, trotz stark demolierter Tür, das gesteckte Ziel nicht erreicht. An der letzten Hürde war er gescheitert, aber das erfuhr ich erst sehr viel später.

Noch hatte ich Respekt und ein mulmiges Gefühl. Wer war der Gauner, der unsere Sicherheit bedroht? Wird er demnächst die oberen Geschosse bevorzugen? Sind meine Sicherheitsschlösser wirklich sicher? Jetzt wurde mir bewusst, dass die Anonymität, die ich allgemein schätze, ihre Nachteile hat und ich im Notfall mit keiner nachbarlichen Hilfe rechnen kann. Die Mieterinnen, die ich kannte, hätte eher ich beschützen müssen. Das betraf Frau Seidenbaum auf meiner Etage, die vor Schmerzen kein Bein vors andere bekam, wie Frau Dorn eine Etage tiefer, die wegen ihres schweren Leidens mehr in der Klinik als zuhause war. Auch die Nachbarn auf Frau Dorn Etage beschränkten sich mehr oder weniger auf Namensschilder, da die kleinen Wohnungen hier am Ufer gern als Feriendomizil genutzt werden. 

Nach einer Woche verschwendete ich keinen Gedanken mehr an Eierdiebe, Trickbetrüger oder Schwerverbrecher. Und da klingelte er!

Stand dreist vor der Tür und ließ sich von mir durch den Spion begaffen. Seine ungeschickte Art die Lage zu peilen, hätte mich normalerweise amüsiert, doch jetzt fragte ich beklommen nach seinem Wunsch. "Hat sich erledigt", hauchte er mit dünner, kraftloser Stimme. So dünn, wie nur ein zugedröhnter Junkie hauchen kann. Dachte ich!

Nach 3 Tagen klingelte er wieder und diesmal hatte er sich eine Ausrede zurechtgelegt. Er wollte meinen Sohn sprechen! Wieder mit dieser ersterbenden Stimme und so bellte ich harsch, dass ich keinen Sohn habe und er das Klingeln zukünftig lassen soll. Netterweise hatte mir Frau Klee aus der 1. Etage, im Zuge der gemeinsamen Einbrecherbekämpfung, ihre Telefonnummer gegeben. Ich rief sofort an und bat sie, den Herunterkommenden in Augenschein zu nehmen, doch sie sah weder jemand vorbeigehen noch auf der Treppe herumlungern.

Einige Tage später stand er im Dunkeln vor der Tür und klingelte. Er blieb stumm, es blieb dunkel, nur die Klingel schrillte noch 3 weitere Male. Das fand ich besonders gruselig und konnte lange nicht einschlafen. Wie auch, wenn man angespannt weitere Klingelattacken erwartet und keine Ahnung hat, wie geschickt dieser Flüsterer mit Schlössern umzugehen weiß!   

Am folgenden Sonntag, es war der 2. Dezember, fragte er schon morgens um 7:00 Uhr nach meinem Sohn. Er gab keine Ruhe, um 8:00 Uhr klingelte er wieder und nach dem dritten Mal rief ich die Polizei. Welcher Einbrecher checked stündlich ob die Luft rein ist? Welcher Einbrecher hat schon früh am Morgen Zugang zum Haus?  Frau Klee hat nie jemand herunterkommen sehen, also musste dieser Kerl einen Hausschlüssel besitzen! Möglicherweise gießt er Blumen oder hütet irgendwelche Haustiere. Der Polizist sowie seine Kollegin hörten interessiert zu, zeigten sich besorgt und legten mir Wachsamkeit ans Herz. Mehr konnten sie nicht tun und mehr hatte ich für den Anfang auch nicht erwartet.

Gerade hatten sie sich verabschiedet, da hörte ich die Feuerwehr, schaute aus dem Fenster und auf ein prächtiges Feuerwehrauto. Habe ich die versehentlich mit-gerufen und was wird das kosten? war mein erster Impuls. Zwei Schrecksekunden später war mir klar, dass da andere Mächte im Spiel sein mussten. Möglicherweise ein dummer Schabernack! Möglicherweise ein Schwelbrand! Flammen oder Rauchschwaden waren zum Glück nicht zu sehen. Warum ein Feuerwehrmann, eskortiert von meinem Polizei-Pärchen, schnurstracks in die oberste Etage kam, wunderte mich allerdings doch. Er fragte, ob bei mir alles okay wäre und auf mein: „Ja, aber ich habe Sie gar nicht gerufen“, rannte er wortlos, gefolgt von den  Polizisten, die Treppe wieder runter. Da beschloss ich, mich an diesem turbulenten Sonntagmorgen über nichts mehr zu wundern. 

Kaum war der Spuk vorüber, klingelte es wieder und ich sah meinen Peiniger lässig lehnend am Treppengelände. Soviel Chuzpe verschlug mir die Sprache und ich wollte mich schweigend zurückziehen, als eine weibliche Stimme: „Hier ist noch mal die Polizei“ rief. Die Polizistin hatte ich nicht im Visier, doch wie konnte ich ihren kräftigen Kollegen für den abgerissenen, eingefallenen Typ halten, den ich sonst zu sehen glaubte?

Soviel zur Täter Erkennung mittels eines Türspions!

Jetzt kam alles ans Tageslicht. Der Klingelmann war weder der Einbrecher, noch ein zittriger Junkie, sondern Herr Buschbart, ein 67jähriger Hausbewohner aus der vierten Etage. Die Feuerwehr hatte er alarmiert, nachdem er von dem jungen Herrn aus dem sechsten Stock geheime Signale empfangen hatte. Jener, also mein Sohn, schwebte in größter Lebensgefahr.

“Dann hat sich das ja aufgeklärt“ meinte fröhlich der Polizist, „kein Einbrecher, sondern nur ein verwirrter Nachbar, der helfen will“. „Aber er will doch nicht mir helfen sondern seinem Hirngespinst“, widersprach ich. "Ich bin die Xanthippe, die ihm den Zugang zu einem Leidenden verweigert. Sollte er den Befehl erhalten, ihn eigenhändig zu befreien, steht er mit der Axt vor der Tür".  Soweit mochten die beiden, die sich über die schnelle Aufklärung freuten, mir nicht folgen. Außerdem hatten sie gerade in ein argloses, verwirrtes Gesicht und in eine ordentliche Wohnung geschaut. Und wer noch Fenster und Fußböden putzt, kann trotz aller Verwirrung nicht so gefährlich sein. 

Nach dem Polizei und Feuerwehreinsatz telefonierte ich am Montagmorgen voller Zuversicht  mit der Hausverwaltung, dem Sozial-Psychiatrischen Dienst, der Präventiv Hilfe, der Polizei und dem Kontaktbereichsbeamten. Immer mit dem an den ich gerade verwiesen wurde.

Die Überraschung war groß!

Allen waren die Hände gebunden! Der Sozial Psychiatrische Dienst könnte Herrn Buschbart zwar zum Gespräch einladen, doch ob das je geschieht, ob er je erscheint oder ob eine Akte Buschbart existiert, wird man mir aus Datenschutzgründen nicht auf die Nase binden. 

Nicht anders bei der Hausverwaltung. Nach mehreren Telefonaten und einem ausführlichen Bericht, versprach man, ihn demnächst brieflich zu kontaktieren.  Der Kontaktbereichsbeamte verwies mich an die Hausverwaltung. Außerdem war er gerade krank, sowie überlastet und für derartige Fälle auch nicht zuständig. Das leuchtete mir ein, woher sollte ausgerechnet er wissen, wie mit einem geistig-verwirrten Stalker umzugehen ist?

Danach setzte ich wenig Hoffnung in die Präventiv Hilfe und wurde auch nicht überrascht.  

Iris machte mich auf eine Stalker-Täter-Hilfe aufmerksam, über die sie kürzlich gelesen hatte. War leicht im Internet zu finden, doch da wollte man von Opfern schon gar nichts wissen. Auch als ich insistierte, da ja nicht ich, sondern der Verwirrte ihre Hilfe benötigte, wurde die Dame am Telefon nicht zugänglicher.  Ja, so ein hochgradig Verwirrter wäre bei ihnen an der falschen Adresse, etwas Einsicht müsse er schon mitbringen. Daraufhin verabschiedete und wunderte ich mich. Wie kann man sich auf einsichtige Stalker spezialisieren, wenn doch die Majorität der Stalker hochgradig verwirrt ist? 

Dass er aufgeflogen war, störte Herrn Buschbart wenig. Bereits zwei Tage nach der Feuerwehr- Aktion klingelte er dreimal laut hintereinander. Angeblich  hatte er eine wichtige Verabredung mit meinem Sohn und quittierte mein: “Lassen Sie den Quatsch, ich habe keinen Sohn“ mit einem spöttischen: “Na wenn Sie meinen?“

Inzwischen hatte ich ihn vor seiner Wohnungstür gesehen und erkannt, dass es keine Gemeinsamkeiten zwischen der Spion-Gestalt und dem Original gab. Er war größer, kräftiger und fitter, lediglich die Baseballkappe war identisch. Jetzt erinnerte ich mich auch an den Tag seines Einzugs vor acht Monaten. Sein Möbelpacker hatte eine Truhe in den engen Fahrstuhl gequetscht und blieb mit ihr solange darin gefangen, bis die Leute von Otis anrückten. Nun musste ich meine schweren Einkaufstaschen hochtragen und ließ mir als Gegenleistung die leere Wohnung zeigen. Eine Freundin hatte sich in die Lage verliebt und mich gebeten,  mir den Schnitt der mittelgroßen Wohnungen anzuschauen. Ich war angenehm überrascht, auch der neue Mieter machte einen angenehmen Eindruck und nichts wies darauf hin, wie unangenehm er mich noch mal überraschen sollte.            

Vom 6. bis 17. Dezember ließ ich Herrn Buschbarts Klingelattacken resigniert über mich ergehen. Wenn er zu sehr nervte, schrieb ich meinen Freunden ausführliche Mails und da es gute Freunde sind, bekam ich mehrere Angebote mich mit Sack und Pack und Katze bei ihnen zu erholen. Das freute mich und ich werde es ihnen nie vergessen, doch ich wollte nicht fliehen, sondern eine Lösung finden oder mich endgültig von diesem Haus verabschieden.

Die Klingelliste, zu der Iris als auch ein Polizeibeamter geraten hatten, wurde immer länger, doch echte Hilfe war nicht in Sicht. 

Im Treppenhaus fühlte ich mich längst unwohl, zog es aber dem engen, rasselnden Fahrstuhl vor, da meine Horrorvision, darin stecken zu bleiben, sich bereits erfüllt hatte!  Und so huschte ich tagsüber an Herrn Buschbarts Wohnung vorbei, während ich mich für spätere Stunden mit Pfefferspray bewaffnete. Nicht wirklich hilfreich, da die kleine Spraydose in meiner Tasche mich eher beunruhigte.  

Nach einer besonders penetranten Belästigung rief ich am 18. Dezember noch mal die Polizei. Bei diesem Einsatz brachte einer der Polizisten es deutlich zur Sprache. So sehr er es auch bedauerte, er könne mir nicht wirklich helfen. Solange Herr Buschbart mich nicht körperlich verletzt, gäbe es keine Handhabe. So wären nun mal die Gesetze! Auch mir wäre eine Ohrfeige tausendmal lieber als dieser Psychoterror, entgegnete ich, aber soll ich ihn deshalb herausfordern? Darauf hatte er keine Antwort, doch da ich mich an diesem Abend nicht mehr ins Treppenhaus wagte, bot er an, den Müll mitzunehmen. Er zeigte auch sonst großes Mitgefühl und meinte abschließend, ich solle trotz allem nicht zögern, mindestens bei nächtlicher Belästigung, die Streife zu rufen.

Ich dankte ihm, dachte aber wozu? Bevor Buschbart nicht die Axt in die Tür rammt wird sich wenig ändern. Für die unterbesetzte Polizei gab es dramatischere Einsätze als ein durchgeknallter Klingler und auch ich sah im nächtlichen Warten wenig Sinn. Was wird passieren?  Irgendwann treffen die Beamten ein, ich erzähle meine Story, sie gehen zu Herrn Buschbart, sofern er öffnet, reden sie miteinander und jedem ist klar, dass sie ihn weder erreichen noch überzeugen können.

Den restlichen Dezember bis in den Januar hinein klingelte Buschbart so selten, dass ich annahm, die Stimmen in seinem Kopf hätten ihm neue Aufträge erteilt. Von wegen!

Am 10. Januar trat er wieder in Erscheinung und brachte sogar etwas Abwechslung in die Monotonie des Klingelns. Er legte Geschenke vor die Tür! Angefangen mit einem kleinen gläsernen Froschkönig und einer Nachricht an meinen Sohn, die verriet, dass zwischen den beiden ein reger, liebevoller Kontakt herrschen musste.

Fünf Tage später lag da eine HM Tüte mit einer gewaltigen, hässlichen, grünen Hose. Diesmal ohne Beipackzettel und nach weiteren sechs Tagen erwischte ich ihn beim Ablegen einer großen Tüte voller Schrippen. Ich forderte ihn auf, die wieder mitzunehmen und bekam ein knappes:  "Ist so abgesprochen, ihr Sohn weiß Bescheid" zur Antwort. 

Was sollte ich tun, außer darüber zu lachen, welch gigantisches Ungeheuer von Sohn dieser Mensch mir zutraut? Erst diese unglaublich große Hose und jetzt 10 riesige Schrippen zum Frühstück!

Ende Januar traf ich zufällig Frau Rosen aus der 4. Etage und fragte, ob ihr am Verhalten ihres Nachbarn etwas aufgefallen war. Nein, er war eigentlich sehr nett und hatte ihr neulich sogar einen grünen, gläsernen Froschkönig geschenkt. „Ach ja, dann hat er die wohl im Dutzend gekauft“, sagte ich und plauderte einige Details über Herrn Buschbart aus. Ganz so unauffällig war er plötzlich doch nicht! Ihr fiel ein, dass er sich für nie stattgefundene Belästigungen entschuldigt hatte und seine Briefe an die Hausverwaltung in ihren Türschlitz warf.  Ob er je klingelte, konnte sie nicht sagen, da sie, wegen eines zeitraubenden Jobs und einer pflegbedürftigen Mutter, kaum zuhause war. Immerhin hatte sie sich nie belästigt gefühlt, war jetzt aber alarmiert und dankbar! Einerseits tat es mir leid, sie verängstigt zu haben, andrerseits musste sie wissen, wer da hinter ihrer Wand irreale Phantasien ausbrütet.

Um uns auf dem laufenden zu halten, tauschten wir Telefonnummern aus, womit der Wahnsinn eines einzelnen immerhin einen engeren, nachbarlichen Kontakt geschaffen hatte.

Der Februar begann ruhig - doch schon am 5.2. klingelte Buschbart mehrmals hektisch, wobei er wie ein unruhiges Tier im Käfig nervös auf und ab rannte. Am  nächsten Abend wurde es so stürmisch, dass ich noch einmal die Polizei rufen musste. Es kamen 2 beherzte Beamte, die ihn mit lauten "Hier ist die Polizei" Rufen, begleitet von massivem Klopfen, zum Öffnen zwangen. Nachdem sie in seiner Wohnung verschwanden und ihm erzählten was immer sie ihm erzählten, kamen sie nochmal zurück. Sie hatten bereits auf der Wache vom Fall Buschbart gehört und versprachen, die Anzeige jetzt voranzutreiben. Das machte mir wieder etwas Mut und ich fühlte mich nicht gänzlich im Stich gelassen. 

Ich hatte doch tatsächlich zehn ruhige Tage! Keine Ahnung ob Buschbart mich immer verpasst-  oder sich wirklich zurückgehalten hat. Ab dem 17. Februar ging es wieder rund. Abends von 21:00 bis 23:00 Uhr ungeduldiges Geläute. Freunde rieten mir, die Klingel abzustellen, nur klingelte er leider nicht unten an der Haustür. Hier oben konnte man klopfen und dieser Unzurechnungsfähige würde klopfen, bis ihm die Hand abfällt. Ein Stalker ist schlimm, ein geisteskranker Stalker ist schlimmer, ein geisteskranker Stalker im selben Haus ist nicht auszuhalten!

Auf der Polizeiwache erfuhr ich, dass das Familiengericht schnelle Entscheidungen treffen kann, doch was kann es bringen, ihn zu 50 Meter- Abstand- halten zu verdonnern?

Am nächsten Tag gebärdete er sich bereits um 6:00 Uhr morgens völlig wahnsinnig. Mein Sohn hätte ihm die geliehenen 50 Euro nicht zurückgezahlt, die er jetzt ganz dringend brauchte. „Wecken Sie ihn sofort, es ist sehr wichtig“, beschwor er mich. Ich war ziemlich wütend, brachte ihm aber ruhig bei, dass mein Sohn sich nicht bei mir, sondern wahrscheinlich gerade in seiner (Buschbarts) Wohnung aufhält. Er nahm das erleichtert an und hat ihn möglicherweise sogar angetroffen, jedenfalls ließ er mich bis zum späten Abend in Frieden.

Das war das einzige Mal, dass ich in seiner Wahn-Welt mitgespielt habe. 

Um Buschbart etwas Paroli zu bieten, bat ich eine fußballbegeisterte Freundin um ihre Vuvuzela. Ein wenig Übung und es lief perfekt. Jetzt konnte er kommen! Er kam, ich trötete und er war beeindruckt. „Was ist denn das? Das machen sie aber gut,“ meinte er anerkennend und ging. Ein kleiner Sieg, doch damit die Wirkung nicht gleich verpufft, durfte die Tröte nur sparsam eingesetzt werden.

Eines Mittags als das schrille Klingeln mich vom Computer wegriss, packte mich genug Zorn, ihn mit Getöse zu vertreiben. Durch den Spion sah ich direkt in sein Gesicht, griff zur Vuvuzela, doch bevor ich loslegen konnte, stoppte mich eine Stimme. Sie war weiblich und gehörte einer Mitarbeiterin des Bezirksamts. Tatsächlich waren es sogar 2 Mitarbeiter, die mit mir reden wollten und Herrn Buschbart gleich mitgebracht hatten. Eine Sekunde später und sie hätten zweifellos nicht ihn für die verwirrte Person gehalten. 

Dass der Sozial-Psychiatrische Dienst nun doch reagierte, gab mir neue Hoffnung. Dass die Psychiaterin mein großes Verständnis für Herrn Buschbarts Zustand lobte, bewies, dass sie meinen Brief gelesen hatte. Dass ihr Kollege, Herr Hopfen, mich aufforderte, dem Verwirrten meinen Ausweis zu zeigen fand ich allerdings befremdlich.

Letztendlich zeigte ich Buschbart den Ausweis, ließ ihn aber nicht in die Wohnung. Wenn er einen Sohn sehen will, sieht er ihn trotz aller Beteuerungen eines Psychiaters. Notfalls in der verwunschenen Katze auf der Couch. Herr Hopfen gab nicht auf! Er stellte mich ihm so lange als einzige Mieterin der Wohnung vor, bis ich mich in Buschbarts Kopf von der Mutter seines Schützlings in eine ehemalige Arbeitskollegin verwandelt hatte. Im nächsten Satz wurde ich sogar nahtlos zu seiner Vorgesetzten befördert. Entweder hat Herr Hopfen ihn so verwirrt, oder er hielt Hopfen für verwirrt und wollte die unangenehme Diskussion mit kleinen Überraschungen entschärfen. Später als wir ihm die HM Tüte unter die Nase hielten, bestritt er vehement, sie je gesehen zu haben. „Und diese Hose kennen Sie auch nicht“ fragte ich. „Aber klar“, sagte er nach einem Blick auf die grüne Hässlichkeit: „das ist doch die Hose Ihres Sohnes“. Und schon hatte er mich von der Arbeitskollegin/Vorgesetzten in die Mutter zurückverwandelt.

Am Ende meinte Herr Hopfen, dass jetzt sicher alles gut gehen würde und falls nicht, täte ich gut daran, mir ein dickeres Fell anzuschaffen. Es bedarf keines Hellsehers, zu wissen, dass gar nichts gut gehen konnte. Schon am nächsten Tag gab's frische Gründe, mein dünnes Fell in ein widerstandfähigeres einzutauschen. Herr Hopfen bekam von mir noch einen kurzen, kritischen Brief, ich bekam keine Antwort und das war's vom Sozial Psychiatrischen Dienst.

Nach dem Besuch der Psychiater klingelte Buschbart gewissenhaft weiter, legte Anfang März eine kleine Pause ein, um am 5. erneut zuzuschlagen. Außer Geld verlangte er jetzt seinen Hausschlüssel zurück. Den hätte mein Sohn fahrlässig eingesteckt und nun kam der völlig Verzweifelte nicht mehr in seine Wohnung. Was blieb ihm übrig, außer es immer wieder hier oben zu versuchen.

An der Geld- und Schlüssel-Geschichte hielt er eine Weile fest und fing an, Zettel in den Briefkasten zu werfen. Aus den 50 Euro wurden 55,80, da er jetzt auch das Schrippen Geld einforderte. Korrekterweise hatte  er den Thoben Beleg über 5,80 € angeheftet. Das Geld war ihm zwar wichtig, doch nicht so wichtig wie der Hausschlüssel, mit dem er ja auch mehr Druck machen konnte.  

Frau Rosen hörte, nachdem er sie nachts im dunklen Treppenhaus erschreckt hatte, die gleiche Story. Er beklagte sich bitterlich, dass er wegen des fehlenden Schlüssels die Nacht auf der Fußmatte verbringen müsse und kam nichtsdestotrotz morgens frisch aus seiner Wohnung. Inzwischen hatte sie erfahren, dass Frau Nergis aus der dritten Etage sich ebenfalls von Herrn Buschbart belästigt fühlte. Die hätte aber nicht lange gefackelt, sondern umgehend die Miete gemindert. Das musste stimmen, denn plötzlich reagierte die Hausverwaltung und schickte auch mir ein Schreiben des Bedauerns. Nach viermonatigem Desinteresse nicht wirklich glaubwürdig und ich schrieb zurück, dass ihre vermeintliche Anteilnahme zu spät käme. Der Dauer Terror, wie die fehlende Unterstützung hätten mir, außer der Lebensqualität auch die Freude an der Aussicht genommen, so dass ich mich nicht nur zur sofortigen Mietminderung sondern auch zum baldmöglichsten Auszug entschlossen habe. 

Am 9. März hatte Buschbart sich bis 19:30 Uhr bereits sechsmal zum Klingeln nach oben bemüht. Ob ich ihn ignorierte oder beschimpfte, spielte keine Rolle. Er drückte wild auf die Klingel und steigerte sich von Stunde zu Stunde. Keine Ahnung, welcher Wahnsinn ihn diesmal vor sich her trieb, jedenfalls klapperte er abschließend noch aggressiv am Briefkasten herum. Um 20:00 Uhr schrieb ich eine verzweifelte Mail an den zuständigen Polizeikommissar, in der ich einen möglichen Notruf ankündigte. Was ich dann später wieder verwarf.

Ich traf auf Leute, die das alles nicht begriffen und ihm längst eins auf die Mütze gegeben hätten. Einmal hart anfassen und er wird nie wieder klingeln. Das mag ja sein, aber bei den Männern, die das sagten, hätte er vermutlich sowieso nie geklingelt. Mein Pech, dass ich eine Frau bin und er ausgerechnet mir einen hübschen Sohn andichten musste. Ihn verprügeln zu lassen, kam mir nie in den Sinn.

Klar hätte ich der Nervensäge gern mal ins Schienbein getreten, dem Kranken allerdings nicht. Er brauchte dringend professionelle Hilfe, darum mein Appell an den Sozial Psychiatrischen Dienst. Dass nichts geschah, obwohl zwei Psychiater das Ausmaß seiner Verwirrung hautnah erlebt haben, ist mir bis heute unverständlich.

Mitte März stand die Feuerwehr wieder vor der Tür! Mein Verdacht fiel unfairerweise auf Buschbart, der diesmal nicht der Initiator war. Die Feuerwehrleute hatten gar kein Blick fürs Haus, sondern starrten gemeinsam aufs Wasser. Einige trugen Taucheranzüge, ein Feuerwehrboot war im Einsatz, doch seltsamerweise verließ mich die Neugier und ich meinen Beobachtungsposten. Eine Viertelstunde später die gleiche Szene, nur um einiges entspannter. Es lag in der Luft dass die Vorstellung gleich zu Ende war. Da kehrte die Neugier zurück und suggerierte, dass ich mal eben was aus dem Auto holen sollte.

Vor dem Haus langweilten sich 2 Polizisten, die sicher nichts gegen ein paar aufmunternde Fragen haben würden. Anfänglich wortkarg, erzählten sie von einem verwirrt wirkenden Lebensmüden, der gegen seinen Willen aus dem Wasser gefischt wurde. Er war noch fit und wollte unbedingt weiter schwimmen. Am frotzelnden Ton erkannte ich, dass sie 1. mich nicht ernst nahmen und 2. der Mann außer Gefahr sein musste. Das war er wohl auch, was bei der eisigen Spree einem Wunder gleich kam. Der Jahreszeit zum Trotz, herrschten Tagestemperaturen weit unterm Gefrierpunkt und selbst die Eisbrecher waren noch im Einsatz.  

Doch wer kam mir bei verwirrt in den Sinn? Die Polizisten waren ganz Ohr, wir verglichen Alter, Größe, Haarfarbe und alles passte. Der Schwimmer war auf dem Weg ins Krankenhaus, doch noch war seine Identität nicht bekannt. Die Beamten hätten sich gern die aufwendigen Nachforschungen erspart, darum schlug ich vor, einfach bei Herrn Buschbart zu klingeln. War er da, konnte er nicht unterwegs ins Krankenhaus sein. Selbstverständlich lauschte ich, während sie klingelten und wurde auch sehr bald mit Buschbarts schallendem Gelächter belohnt.

Einige Tage später sprach ich mit Erika Rosen und Flora Nergis über diesen Zwischenfall und da hörte sich alles bedeutend grausiger an. Sie hörten die Hilfeschreie des Ertrinkenden und sahen, dass seine Arme bei der Bergung steif in die Luft ragten. Jedenfalls wünschten sie, das nie erlebt zu haben, weil die Bilder sie sehr lange verfolgen würden. Da dankte ich meiner Neugier, dass sie mich im rechten Moment verlassen hatte.

Über zwei Wochen klingelte Herr Buschbart nur einmal täglich zu unaufregenden Zeiten, so dass ich meinen Auszug nochmal überdachte. Kaum ließ ich die in Frage kommende Wohnung sausen, riss der unberechenbare Teufel mich wieder um 5:00 Uhr morgens aus dem Schlaf.

Ich sah mir ständig Wohnungen an, doch wenn es eilt, ist die Traumwohnung in weiter Ferne. Jede dieser Wohnungen hatte mindestens einen Kardinalfehler, was nicht nur an meinem Aussicht-verwöhnten Blick lag. Zugegebener weise sah ich das nicht ganz so tragisch, weil ich bei der Sucherei im Internet und auch bei den Besichtigungen großen Spaß hatte. Vielleicht weil es besser ist, aus allem das Beste zu machen, vielleicht weil Veränderungen immer auch was Spannendes haben. Egal, Hauptsache es war so!

Am Ostermontag lagen, ganz ohne Klingel-Ankündigung, Süßigkeiten auf dem Briefkasten, die am Mittwoch, nach einem Klingelsturm, wieder eingesammelt wurden. Von da an klingelte Buschbart vorwiegend um 5.00 und 6:00 Uhr morgens oder gegen Mitternacht.

Aus dem Schlaf gerissen zu werden ist besonders fies, wobei der Schrecken tagsüber nicht geringer war. Mein Blutdruck schoss jedes Mal in die Höhe. Allgemein hatte ich meine Hypertonie gut im Griff, doch gegen diesen Irrsinn war ich nicht gefeit. Schon beim Klingeln der Eieruhr zuckte und zucke ich heute noch zusammen. Auch diese Tatsache hatte ich als Argument angeführt, doch selbst ein ärztliches Attest konnte nichts bewirken.

Bitter, aber wohin sollte ich mich noch wenden? Zügiger Auszug war die einzige Möglichkeit, diesen Horror heil zu überstehen.

*

Flora Nergis bat mich am Tag nach den Osterferien um etwas Gesellschaft. Ich ahnte, dass ihr nach dem Urlaub verstärkt vor Buschbart graute und machte mich sofort auf den Weg in die dritte Etage. Die Tröte kam mit, vielleicht konnten wir zur Abwechslung ihn etwas aufmischen. Er war zuhause, denn Flora hörte dieses monotone Knacken, mit dem er sie tagsüber nervte. Nachts warf er Glaskugeln vom Tisch, die er geräuschvoll durch die Wohnung rollen ließ. So hörte es sich für sie jedenfalls an. Diese Nachtaktivität überraschte mich, dachte ich doch immer, er wäre mit mir und seinen langen Spaziergängen so ausgelastet, dass er nachts nur noch erschöpft und glücklich von meinem Sohn träumt. 

Bevor ich wieder in meine Wohnung ging, wollte ich mir den Spaß erlauben, unseren Belästiger einmal zurück-zu-belästigen. Die Gelegenheit war günstig, wir waren zu zweit und zur Verstärkung baten wir seinen Nachbarn, Herr Krokus dazu. Jetzt war Buschbart dran! Ich klingelte kräftig, doch die feige Memme traute sich nicht raus. Da fiel mir ein, dass ich ihm wenigstens eins tröten könnte. Flora öffnete seinen Briefschlitz und ich trompete 2 mal hinein. Keine Reaktion, obwohl eine Herde Elefanten es nicht besser gekonnt hätten.

Gerade als unsere kleine Gruppe sich kichernd auflösen wollte, öffnete er die Tür und fragte in erhabenem Tonfall: "Was fällt Ihnen ein und was wollen Sie überhaupt von mir?

"Dass Sie mit Ihren Belästigungen aufhören und sich nie wieder in den 6. Stock wagen", schnappte ich. "Wollen Sie mir drohen?" fragte er drohend. "Ja, mit der Polizei! Beim nächsten Mal werden Sie mitgenommen", log ich. "Wieso ich, Sie machen hier doch den Lärm!" entgegnete er und hatte in diesem Moment sogar recht.   

Das war um 22:30 Uhr – 2 Stunden später war er wieder oben!

Während der nächsten 2 Wochen klingelte Buschbart regelmäßig zu unregelmäßigen Zeiten, von denen die Attacken morgens um 4:00 Uhr die ärgerlichsten waren. Eine Wohnung hatte ich noch immer nicht gefunden, dafür tröstete ich mich mit dem bevorstehenden Urlaub. Vom 28.04. bis zum 12.05. konnte ich diesem Wahnsinnigen  entrinnen. Die katzenfütternde Iris hatte ein wenig Bammel, wurde zum Glück aber nicht ein einziges Mal belästigt.

Ich hingegen schon am Tag nach meiner Rückkehr! Ließ mich aber kalt, denn ich hatte eine Wohnung in Aussicht! Mittwochs besichtigt, Donnerstags beworben und Freitags bekommen. Ungewöhnlich fix und außerordentlich passend – bei Liebe auf den ersten Blick ist eben alles möglich. Entspannter konnte ich kaum sein, erst der Urlaub, jetzt die Wohnung, lass den Zausel doch klingeln! Als er mich in derselben Nacht um 01:30 Uhr aus dem Schlaf riss, beschimpfte ich ihn dennoch aufs Übelste. 

Tags darauf ließ er mich immerhin bis 7:00 Uhr in Ruhe.

Ich war bereits ausgeschlafen und so gut gelaunt, dass ich ihn nicht mit: "Hau ab, du Missgeburt" sondern "Guten Morgen, wo bleibt der Kaffee?" begrüßte. "Ich wusste doch nicht, dass Sie jetzt Kaffee möchten", antwortete er.  "Und ich wusste nicht, dass Sie jetzt klingeln würden", entgegnete ich.

2 Minuten später kam er mit der Kaffeekanne zurück und fand es schade, dass das nur ein Scherz gewesen sein soll. Das war beinahe nett, wurde aber bald wieder vom nächsten Wahnsinn übertrumpft. 

Montag, der 27. Mai

Heute erfuhr ich, dass mein Sohn hochgewachsen, dunkelhaarig und hübsch ist. Der Begriff hübsch trifft ja eher auf Frauen zu, doch außerordentlich gutaussehend wäre er schon, strahlte Buschbart mit einem Stolz, als hätte er dieses Prachtexemplar geboren. Was er genau genommen ja auch hat! Bei den alten Griechen gehörte eine Kopfgeburt zu den alltäglichen Wundern, nur da hatten die verrückten Götter grenzenlose Narrenfreiheit. Wiederum kann Herr Buschbart sich auch heute nicht beklagen.

Da der angekündigte Heizungsmonteur bereits im Haus war, öffnete ich Herrn Buschbart ausnahmsweise die Tür. Er war unbewaffnet, Verstärkung nahte und solange er von seinem Liebling schwärmte, war er zum Randalieren zu glücklich. Heute schien er besonders durchdrungen, was ich mit einem Themawechsel grausam beendete.

Das neue Thema - professionelle Hilfe - hätte ich ohne Monteur an der Seite gar nicht anzuschneiden gewagt. So konnte ich ihn darauf hinweisen, dass der Hausverwalter sich zur Klage entschieden- und mich bereits um Beweismaterial gebeten hätte. Um einen Rausschmiss zu vermeiden sollte er die Initiative ergreifen und sich zu einem freiwilliges Gespräch mit einem Psychiater bereit erklären. Egal ob nötig, ein kluger Schachzug wäre es auf jeden Fall. Erwartungsgemäß sah er keine Notwenigkeit, versprach aber, darüber nachzudenken. Der Heizungsmonteur lauschte gelassen, da er die skurrilen Wahrnehmungen des Herrn Buschbarts schon einige Male miterlebt hatte. 

Den Hausverwalter hatte ich erwähnt, weil jener Herrn Buschbart kürzlich aufgesucht, verwarnt- und dabei Details über die verliehenen 50 € erfahren hatte. Demnach wollte mein Sohn, den Buschbart im Bus traf, eine Party ausrichten. Doch da die geizige Mutter und die neidischen Brüder ihm jegliche Unterstützung verweigerten, sprang Buschbart in die Bresche. „Mein Gott, wie viele Söhne habe ich denn“, fragte ich lachend, doch die Anzahl war nicht erörtert worden.

Am Ende legte der Verwalter ihm ans Herz, um des lieben Friedens willen auf die 50 Euro zu verzichten. Das hatte er bereits getan und war längst wieder gut auf Bruder Leichtfuß zu sprechen. Obgleich es mich amüsierte, fand ich es unklug im Umgang mit Buschbart, dessen Phantasiewelt als Realität anzuerkennen.

Dass ein Versuch nicht schadet, stimmt nicht immer!

Mein Rat zu professioneller Hilfe prallte nicht nur an Buschbart ab, sondern löste noch stärkere  Aggressionen aus. Schon am nächsten Tag klingelte er um 23:00 Uhr viermal langanhaltend Sturm. Ich sehnte die Polizei herbei, damit sie ihn endlich abführten. Auf langes Warten und unnützes Diskutieren hatte ich allerdings keine Lust. Falls er jetzt Ruhe gab, konnte ich in zwei Stunden eingeschlafen sein. Bei einem Polizeieinsatz mit dem üblichen Ritual, der Warterei, den lästigen  Erklärungen und der Nachaufregung könnten leicht vier Stunden daraus werden.

Er gab Ruhe, aber nur bis 05:45 Uhr des nächsten Morgens! Anfänglich hatte er wenigstens noch einen halbwegs gesunden Schlaf, jetzt trieb die Nervosität ihn zu allen Zeiten an meine Klingel. Seine Schizophrenie (nenne ich jetzt mal so) schien, dank fehlender Hilfe, immer stärker auf in einzuwirken. Ob ich es Schizophrenie oder Demenz nenne, spielt auch keine Rolle. Entscheidend ist, ob er behandelbar ist und ob es überhaupt irgendwann zu einer Diagnose kommen wird.  

Am nächsten Tag war der 30 Mai und der letzte Tag auf meiner Klingelliste.

Buschbart tat's mal wieder um 04:00 Uhr morgens und dieses Mal machte sich eine linksseitige Migräne bei mir bemerkbar. Eine Vertraute aus einer extrem stressigen Zeit, die mich den Unterschied zwischen Kopfschmerzen und ihr gelehrt hatte. Inzwischen sind mehr als zwanzig glückliche Jahre vergangen, ohne dass ich ansatzweise an diese Erfahrung zurückdachte.

Jetzt war ich endgültig bedient

Am Nachmittag schrieb ich ihm einen Brief, von dem ich mir zwar nicht das geringste versprach, es aber tun musste, weil ich alles andere schon getan hatte. Und habe mit diesem Brief etwas erreicht, das niemand hätte prophezeien können.

Nach einer ungestörten Woche fand ich meinen Brief, kreuz und quer bekritzelt, in meinen Briefkasten wieder. Obwohl oder gerade weil er sich an zwei Bemerkungen gestoßen hatte, machte er mir ein Friedensangebot. Schwer leserlich und voller Wiederholungen schlug er vor, mich in Ruhe zu lassen, sofern auch ich meine Belästigungen einstellen könnte. Eine Antwort war nicht erforderlich, sollte es mir gelingen, dieses Abkommen einzuhalten, gelänge es ihm auch.

Irgendeinen Nerv muss ich getroffen haben - denn so unglaublich es klingt - es gelang uns beiden!  

Den ganzen Juni über hörte ich kein einziges, von Buschbarts Zeigefinger ausgelöstes Klingeln. Die paar Male, die es schellte, schob ich auf die Müllabfuhr, die sich auch hin und wieder meiner Klingel bediente.

Noch vor meinem Umzug verschwand Buschbart in einer Nervenklinik.

Die Hausverwaltung hatte erklärtermaßen nichts damit zu tun und ob die Einweisung auf eigenen Wunsch oder auf Grund eines schwerwiegenden Zwischenfalls erfolgte, wurde mir aus Datenschutzgründen nicht mitgeteilt.   

Inzwischen ist über ein halbes Jahr vergangen, ohne dass er zurückgekehrt ist, womit meine Hoffnung, seine Dämonen wären mit der richtigen Medikation in den Griff zu kriegen, sich nicht erfüllt hat.

Meine Anzeige vom Februar 2013 wurde im Januar 2014 wegen Schuldunfähigkeit abgewiesen. Aus heutiger Sicht finde ich das in Ordnung, er ist bis auf weiteres außer Gefecht gesetzt und was sollte es bringen, ihn mit Geldstrafen zu belegen?

Nicht in Ordnung finde ich, dass er mich acht Monate lang ungehindert terrorisieren durfte. Jedes Klingeln, ob an der Tür, im Fernsehen oder aus der Küche fährt mir immer noch durch Mark und Bein. Zur besseren Verarbeitung und auch weil die wenigsten Menschen das für möglich halten, habe ich diese Geschichte aufgeschrieben. Ich mache niemandem einen besonderen Vorwurf, bin allerdings  überzeugt, dass ein Gesetz, welches den Datenschutz des Täters haushoch über den Schutz des Opfers stellt, dringend reformbedürftig ist.  

Ahondissa

 

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