---------------------------------------- schöne schwere Kindheit ------------------------------------------kkkkkk

"Guck nicht so böse,"lachte meine Oma mir mitten ins enttäuschte Gesicht.

"Wie soll ich denn gucken?  Die ganze Woche freue ich mich auf die Eichhörnchen und dann kommen 

die frechen Kinder und verjagen sie. Du hast es doch selbst gesehen," erinnerte ich sie
vorwurfsvoll.

"Lass dir davon den Tag nicht verderben, ic
h weiß du bist sauer, doch Schulkinder sind oft laut und

nicht
immer rücksichtsvoll" entschuldigte sie die Meute, "wenn du in die Schule kommst, wirst du 

das verstehen."
"Nein, Schreihälse will ich nicht verstehen und soviel Krach werde ich nie machen,"

entgegnete ich trotzig.

"Wie du meinst," lenk
te die Omas ein, "du wirst wahrscheinlich eine besonnene, ruhige Schülerin sein 

und so fleißig lernen, dass ich dir eine riesige Tafel Schokolade zur Versetzung schenken muss."  

Schokolade war mir ein klarer Begriff, Schule noch ein nebulöser, doch der Gedanke an die Schokolade

ließ mich die Schulkinder vergessen und die
Schule herbeisehnen.    
***
****
Bis zum Tag meiner Einschulung vergingen noch 2 lange Jahre!

Endlich konnte ich die Oma an die Schokolade erinnern, aber nichts! Noch nichts!

Sie erklärte mir
die Bedeutung von Versetzung - ich musste noch ein ganzes Jahr warten und inzwischen

fleißig lernen. Obwohl ich das verstand, war die Enttäuschung groß -  trotzdem blieb sie die beste Oma 

der WeltVielleicht war Schokolade so teuer, dass sie selbst lange dafür sparen musste. Und wenn sie

schon kein Geld für Schokolade hat, hatte meine Mutter erst recht keins.

Ich sah jubelnde Kinder beim Naschen von köstlichen Leckereien aus Schultüten, die sie kaum halten

konnten. Meine Tüte konnte ich locker mit links tragen und statt auf Köstlichkeiten stieß ich auf viel

zerknülltes Papier und wenig fürs Herz.
Wovon die Hälfte an meinen Bruder Manni ging, der jetzt zum

2. Mal
eingeschult wurde. Teilen waren wir gewöhnt, ich hätte nur gern etwas besseres als diese spärliche

Mogeltüte zur Verfügung gehabt.  
***
***
***
Der Tag der Einschulung lag längst hinter uns! 

Vergessen war die Schultüte, jetzt war es eine hölzerne Schulbank, die wir in friedlicher Eintracht teilten. 

Ich war glücklich! Ich saß neben meinem Bruder, fühlte mich mit dem Rest der Klasse im Einklang und 

wähnte mich akzeptiert und beschützt.

Bis dem Lehrer auffiel, dass da ein Mädchen zwischen all den Jungen saß. Das durfte nicht sein und er

zögerte keine Sekunde, mich an die Lehrerin der
Mädchenklasse weiterzureichen.

Auf keinen Fall wollte ich mich von Manni trennen lassen und heulte Rotz und Wasser, als die Hand des   

Lehrers mich über den Schulhof führte. Er blieb unerbittlich - wie er wohl auch musste, doch selbst auf

den kleinsten Funken Mitgefühl wartete ich vergebens. Daran, ob diese absolute Gleichgültigkeit meine

Tränen noch bitterer fließen oder schneller versiegen ließ, kann ich mich aber nicht erinnern.      
....  

Als wir unserer Mutter aufgeregt von der Trennung erzählten, entging ihr die Tragweite des Dramas.

Alles was sie sagte war: "Kinder, 
habe ich nicht genug Sorgen? Wo kriegen wir nur einen zweiten
 
Schulranzen her?“
Irgendwo kam einer her, doch 100 x lieber hätte ich den alten weiter mit Manni geteilt.

***

Die Lehrerin der Mädchenklasse, Fräulein Gurtmann, war eine gutherzige, zuweilen etwas überforderte

Dame. Sie legte viel Wert auf Kirchenbesuche - nur leider nicht nur auf die ihrigen!

Wer am Sonntag nicht in der Kirche war, musste die Schande Montags gestehen. Anfangs waren alle 

in der Kirche, als aber Fangfragen gestellt wurden, ließen die Kinder sich Ausreden und kleine

Notlügen einfallen. Die Kleinsten der Kleinen zum raffiniertem Lügen zu animieren, war pädagogisch

unklug, nur so weit hatte das
Fräulein nicht gedacht.

****
Normalerweise liegt es an den Eltern, ob Kinder in die Kirche gehen, doch solche Entscheidungen

überließ meine Mutter uns. Die Taufe war nicht optional, aber auch nicht all zu dringend! Letztendlich

sind wir alle kurz vor der Kommunion
hinmarschiert und staunten, dass bereits festlich geschmückte

Babys
mit Wasser abgeschreckt wurden. Gefiel ihnen überhaupt nicht, denn sie schrien wie am Spieß!

Während der Kommunion war meine Mutter überraschend engagiert, um sich bald wieder wie die

letzte Ketzerin aufzuführen. Ich widersprach nicht und dachte: „Rede nur - ich weiß, dass ich Jesus

mit meiner Hostie empfangen habe," Ja, ich war gläubig! Teils als Opposition zu meiner Mutter, teils

aus Schwärmerei. Der von allen Mädchen Angeschwärmte hieß Joachim Moog und war so schön und

klug und fromm, dass auch ich im imponieren und nacheifern musste. 

Da er aber auch gerecht war, bevorzugte er keine, sondern ließ uns oberflächliche Gänse reihenweise links

liegen. Was zum Glück nicht lange schmerzte, da er seinen Schmelz überraschend schnell eingebüßt hatte.

Es mit Charme zu kompensieren kam ihm nicht in den Sinn, im Gegenteil, ich hatte das Gefühl, dass er

seine Schönheit freiwillig wie einen zu auffälligen Pelz abgelegt hatte. 

Immerhin war er der Initiator meiner Gläubigkeit, die mich mindestens 6 weitere Jahre keins der Wunder 
 
von Jesus anzweifeln ließ. An Maria hätte ich zweifeln können, aber ich wusste ja nicht, was "gebenedeit

unter
den Weibern", geschweige denn, "unbefleckte Empfängnis" bedeutete. 

Meine Mutter hat es gewusst und garantiert bezweifelt, doch gegen den Jesus, den ich mit meiner

Hostie gegessen habe, hatte sie eigentlich nichts. Ihre Abneigung galt der Bigotterie von Kirche und

Kloster! Irgendwann hatte sie von
einem übel beleumdeten Kloster gelesen, in dem Gott mehr

Abtreibungen zu sehen bekam, als in jedem Bordell. Egal ob kürzlich geschehen oder in einem

anderen Zeitalter - bei der Erwähnung eines Kloster kam ihr sofort Sodom und Gomorrah in den Sinn!
.......

Als sich die besten Ärzte der Welt um Papst Pius scharrten, sagte sie spöttisch: Was hängt er so am

Irdischen, jetzt könnte er endlich seinem Gott begegnen und wehrt sich aus Leibeskräften!"

Lebte ein Priester mit seiner Haushälterin unter einem Dach, hatte er definitiv ein Verhältnis mit ihr.

Nicht dass sie es ihm nicht gönnte, was sie verabscheute war die Verlogenheit rund ums Zöllibat.

Die Wirkung der Haushälterinnen hatte sie allerdings immer überschätzt.

Woher sollte sie auch wissen, dass deren Reiz oft vom Liebreiz der Ministranten überstrahlt wurde?

Das war damals kein Thema und um sich diese Abgründe auszumalen, fehlte selbst einer

potentiellen Ketzerin die Phantasie.  

***
***
***
Dem lieben Fräulein Gurtmann konnte ich nur schwer verzeihen, dass es meine Banknachbarin, Rita

Scholz autorisiert hatte, mir einen Schubs zu verpassen, sobald ich mit der linken Hand schrieb.

Ich fing an, beide zu hassen, dabei waren sie nur Werkzeuge einer größeren Macht, die das Werkzeug

einer noch größeren Macht war, die es nicht besser wusste. Irgendwann knickte ich ein und schrieb 

wie mir befohlen wurde. Andere Handhabungen wie nähen und schneiden ließen sich nicht verbiegen

und einiges beherrsche ich beidhändig.  

Glücklicherweise ist mir aufgefallen, dass naturbelassene Linkshänder nie eine elegante Handschrift

vorweisen können - also Danke sehr Rita und Fräulein Gurtmann.
.........
.........
Als Gegenstück zur aufrechten Gestalt des Fräulein Gurtmanns, gab es ein leicht gekrümmtes, winziges

Fräulein Geier. Heute wird jede 15jährige als Frau angesprochen, damals war eine ledige Hundertjährige

noch ein
Fräulein. So alt konnte Fräulein Geier nicht sein, aber schon älter als Fräulein Gurtmann und  

keine Dame
sondern eine echte Krähe! Sagt man so dahin, dabei sollte kein Tier der Welt für diese

Sadistin herhalten. 
 

Die wenigen Kinder von privilegierten Eltern streichelte Fräulein Geier mit Samthandschuhen. Hustete

eins von ihnen, wurden Hustenbonbons aus der Tasche gezaubert! Hustete ein Kind aus dem Volk,

hieß es: "Hör auf zu trompeten“ Nicht schön, aber damit hätten alle leben können. 

Nur leider war der innigste Freund des Fräulein Geiers ihr Rohrstock! 
Ihr zuverlässiger Rohrstock,

der sie nie im Stich ließ und den sie so liebte, dass sie dem täglichen Kontakt mit ihm bereits morgens


entgegenfieberte. Sie betrachtete ihn längst als ihren geschmeidigen Komplizen, der ihr ein Gefühl von

Allmacht verlieh. Und im Rausch dieser Macht brachte sie ihn auf den Händen der Ärmsten der

Armen zum Tanzen. Mit Begeisterung auf die zitternden, ausgestreckten Arme!  

Es ging nie um Dreistigkeit, es ging immer um wissen oder nicht wissen! Wer nicht wusste, hatte Pech

und wer es wusste und vor Angst vergessen hatte, hatte auch Pech.
Wer die Hände reflexartig wegzog,

bekam es doppelt und dreifach.

Die meisten Schüler zuckten bei jedem Schlag zusammen, einige nahmen sich allerdings ein Beispiel an

der Hexe und peinigten das Opfer während der Pause weiter. Gemein, aber warum nahmen diese Kinder

ihre Opferrolle widerstandslos an? Vermutlich ging es nahtlos zuhause weiter, doppelt grausam – nur

allzu möglich!

Ich hätte mich gewehrt - auch als Siebenjährige! Mich durfte nicht einmal meine Mutter schlagen oder

demütigen. Der Trick – ich war das folgsamste Kind der Welt  - und da sie nicht zur Hysterie neigte

oder aus einer Laune heraus, Ohrfeigen verteilte, klappte es perfekt zwischen uns beiden.

Eine sadistische Lehrerin ist ein anderes Kaliber, doch offenbar hatte die feige Hexe noch genügend

Respekt vor meinem Wissen oder sie fürchtete einen Tritt ins Schienbein. Ich musste die Stiefel

meines Bruders auftragen, die riesig und massiv meine dünnen Beine
umhüllten und die Fräulein

Geier möglicherweise für die bedrohlichen Waffen eines Kinderbandenmitglieds hielt.
***
***
***
Etwa um diese Zeit musste ich meinem Bruder Manni massiv zu Hilfe eilen.

Er war neuneinhalb, ich kurz vor acht, als er auf dem Schulweg von mehreren, etwa elfjährigen Jungen              

bedroht wurde. Ich zögerte keine Sekunde, rannte los und brüllte: „Wenn ihr dem was tut, bekommt ihr

es mit
mir zu tun“ Sie ließen sofort von ihm ab!

Nicht wegen meiner Wunderstiefel, sondern weil sie sich vor Lachen nicht mehr halten konnten.

So gelang es mir, ohne Einsatz meiner Fäuste oder Stiefel, die Bande von Manni fern zu halten. Dass

sie uns in der Luft hätten zerreißen können, war selbst mir klar, aber Nichtstun war keine Option!

Meinem Bruder war das alles sichtlich peinlich, andrerseits...........

*****

Mannis hübscher Freund Peter fand es lustig Mädchen reinzulegen, für einen Brüller sogar Grenz -  

überschreitend. 
Einmal trug er einen großen Karton voller Holzwolle auf dem Schulhof vor sich her.

Sofort wurde er von neugierigen Mädchen bestürmt, die in den Karton und gleichzeitig in seine blauen

Augen schauen wollten. "Da ist mein Hamster drin, aber erschreckt ihn nicht", bat er die Mädchen.

Sie wühlten sich behutsam durch die ganze Holzwolle, erfühlten aber keinen Hamster, sondern seinen

Pillemann, den er durch ein Loch in den Karton gesteckt hatte.

Die Mädchen kreischten und er wurde umgehend zum Rektor einbestellt! ----

 *****

Bei Mannis Lehrern lief auch nicht alles glatt.

Vor Herrn Lehrer Schütz, einem im Grunde klugen Mann, hatten die Schüler jeglichen Respekt verloren.

Mannis Bericht zufolge, verging kein Tag, an dem er nicht: "Die Bomben fallen,
Kinder es ist Krieg,“

oder „Sofort alles unter die Bänke“ geschrien hatte.
Ein Nachkriegsopfer - das die Kinder natürlich

zum Schieflachen fanden. 

......
Herr Lehrer Krüger segelte meist verspätet, aber immer beschwingt in den Klassenraum.

Gewohnheitsgemäß mit breitem Grinsen und einer bahnbrechenden Alkoholfahne.
Dass er sich an den

Lehrertisch setzte, hieß nicht, dass der Unterricht begonnen hatte. Irgendetwas musste immer noch

besorgt werden und so flog die erste Stunde dahin.

Freitags, wenn er den Tippschein zückte, hieß es: „Komm Sabinchen, sei mein Glücksbringer und hilf mir

bei den Zahlen!“ Und so füllte die kleine Sabine aus der ersten Reihe regelmäßig seinen Tippschein aus.

Obwohl auch keine Respektsperson, wurden die Marotten dieses Lehrers leichter akzeptiert. 

Scheinbar kam keiner dieser Lehrer unbeschadet aus dem Krieg zurück, nur was wussten die Kinder

schon vom Krieg? In der Schule war das kein Thema und zuhause wurde bei den meisten darüber

geschwiegen.  
....
...
Bei uns wurde nicht nur darüber gesprochen, wir bekamen sogar eine lebhafte Vorstellung des Krieges. 

An einem Samstagmittag um 12:00 Uhr heulte plötzlich die Sirene. Meine Mutter schrie: "Krieg, es ist Krieg"

und wollte sofort mit uns in den Luftschutzkeller. Fortan heulte die Sirene jeden Samstag, doch um ruhig 

zu bleiben, saß der Krieg ihr noch zu sehr in den Knochen. Irgendwann hatte sie sich an die Samstag

Heulerei gewöhnt, doch sobald die Sirene aus dem Radio tönte, hatte sie einen Rückfall. Das färbte ab,

ich rüstete mich schon innerlich.  

Meine Mutter hatte einen, meine Oma hatte 2 Kriege erlebt, die Frage war nicht ob, sondern wie viele

Kriege ich erleben würde. Mein Vater musste den Krieg sogar hautnah erlebt haben. Wenn auch nicht

sehr lange! Meine Oma hatte aufgedeckt, dass er ein feiger Deserteur war, also war er immerhin kein

lupenreiner Nazi! Ich glaube ich war sechs, als er mir eine Zeitschrift mit dem Foto eines Mannes zeigte

und:
"Was denkst du, wer das ist?" fragte. "Herr Tuschling, natürlich," antwortete ich, worauf er

schallend lachte. Später erfuhr ich, dass es sich um ein Foto von Hitler gehandelt hatte.

Was bewies, dass es Jahre nach dem Krieg immer noch in Ordnung war, unbehelligt als Hitler Karikatur

herumzulaufen. In unserer Straße war es Herr Tuschling, in anderen Straßen gab es andere, die weiter

mit Seitenscheitel und scharzer Briefmarke im Gesicht herumstolzierten. 
.

 ******

Als Iris sich neben mich setzte, war ich alles andere als begeistert.

Ich wäre lieber allein geblieben, es war aber auch nicht ihre Idee, sie wurde wegen Dauerquatschens von der

Lehrerin strafversetzt. Wie wir die Peinlichkeit des erzwungenen Nebeneinanders bewältigen sollten, schien

Frau Markmann nicht zu interessieren. Immerhin gehörte Iris nicht zur Petzer Liga und war mir dann doch

lieber als die meisten meiner Mitschülerinnen.

Ich galt als ruhig, um Freundschaften zu schließen, war ich zu selten da und als notorische Schulschwänzerin

sowieso nicht der Hit, an dem keiner vorbeikam. Als zurückhaltende Außenseiterin also genau die richtige,

um die geschwätzige Iris zu dämpfen, mag Frau Markmann gedacht haben.

Sie war eine moderne, fortschrittliche Lehrerin, hatte eine lockere Art und war, gemessen am damaligen

Lehrerangebot, ein echter Glücksfall. Dieses Mal hatte sie sich allerdings gründlich verkalkuliert, anstatt

einander anzuschweigen, quatschten Iris und ich nach kürzester Zeit um die Wette.

Wir hatten uns angefreundet! Dass das der Anfang einer sehr langen Freundschaft war, hatte allerdings

keine von uns beiden geahnt. 
*
*****

Ob aus Lehrer- oder Geldmangel, unsere Klasse, die aus 22 Schülerinnen bestand, wurde plötzlich mit

11 Schülern aufgestockt. Jetzt war etwas möglich, wofür ich als Sechsjährige bittere Tränen geweint

hatte - wir waren die erste Mädchen/Jungen Misch-Klasse! Mit den Jungen tauchten Namen wie

Danielewitsch und Popowitsch auf, gleichzeitig wurde es lustiger und lebendiger.

Meinetwegen hätten noch mal 11 kommen können. Z
uwider waren mir nur die Petzer und Anschwärzer

und jene, die aus Angst vor Abschreibern, tief über ihre Arbeiten gebeugt fast die Tinte ableckten.

Und das waren nicht die Jungs!  Alle Mädchen auch nicht, aber viele. Zu viele! 

Was mich ärgerte, waren nicht die möglichen Konsequenzen, sondern die Gehässigkeit der kleinen

Denunziantinnen. An den abgeschirmten Arbeiten der Tintenlecker war ich sowieso nicht interessiert,


da ich die fehlende Zeit nach jeder Fehl-Periode spielend aufholte und immer bessere Zensuren als 

der Durchschnitt
hatte. Ich machte mir auch keinen Lenz, ich blieb der Schule auf Geheiß meiner 

Mutter fern, die mich immer wieder zuhause brauchte und garantiert einen Tennisarm vom Schreiben 

der unzähligen Entschuldigungen hatte.


Es war schon absurd, jeder Lehrer wusste, ihre Zettel waren für die Katz, doch niemand schaltete das

Jugendamt ein. Vermutlich weil meine Leistungen durchweg konstant blieben. I
ch wusste ja selbst nicht,

woher meine: "Was die geschafft haben, schaffe ich erst recht" Arroganz kam. Die Arroganz, die mir

im Ernstfall auch nicht weiter half! Erwischten mich feixenden Mitschüler, empfand ich mich selbst als

uncool und die Situation als ausgesprochen peinlich. 100 prozentige Peinlichkeits-Steigerung, wenn ich

mit Kohlen unterwegs war, 200 prozentige Peinlichkeits-Steigerung, wenn der Kohlenberg sich in einem

ausgedienten Kinderwagen türmte.

Nur was sollte ich tun? Ich gehorchte aufs Wort, um zuhause nicht gedemütigt zu werden, um mich dann

 auf der Straße doppelt und dreifach gedemütigt zu fühlen. Hatte sich meine weise Einsichtigkeit zum

Bumerang entwickelt? Oder hatte ich gar keine Wahl und das Verantwortungsbewusstsein wurde mir in

die Wiege gelegt? Laut meiner Mutter konnte ich schon als drei/vierjährige gewissenhaft auf die Kleineren

aufpassen. Ging auch nur einmal schief, als der Kinderwagen, besetzt mit Aia und Kiki, ihr mitten auf der

Straße, offenbar von Geisterhand geschoben, entgegenfuhr.  

***
Meinem Bruder Manni war Verantwortungsgefühl ein Fremdwort. Obwohl fast 2 Jahre jünger, musste

ich ihn von Streichhölzern, Feuerzeugen und anderen gefährlichen Dingen fern halten. Als ich noch sehr

klein war, war ich ihm allerdings ausgeliefert. Meine Mutter hatte die Angewohnheit uns einzuschließen,

wenn sie kurz mal weg musste. Unsere Wohnung war im Hochpaterre, und als sie mal etwas länger

ausblieb, wollte Manni einen Ausbruchsversuch wagen. Allerdings brauchte er mich zur Verlängerung,

denn als meine Mutter um die Ecke bog, hielt er mich an den Beinen aus dem Fenster und schrie:

 "Mama schnell, ich kann nicht mehr halten!" 

Diese Escapade wie den Kinderwagen Ausflug kenne ich aus den Erzählungen meiner Mutter.

Von Mannis Highlight, der Kiesgrube habe ich allerdings mehr mitbekommen als sie. 
So wie er täglich

schwärmte, musste es ein ganz besonderer, spannender Ort sein. Und da ich noch ganz klein und

dumm war, hoffte ich, dort wunderschöne Engel zu treffen, die mit mir spielen, mich mit Bonbons

füttern
 und mir zum Abschied vielleicht eine kleine Puppe schenken würden.

In Wirklichkeit war 
es ein Riesen Schutthaufen, in dem Kinder Hand Granaten fanden und dafür hin

und wieder eine Hand verloren. Da Manni das nie miterleben musste, sah er in die Kiesgrube ein Eldorado

für
ihn und alle mutigen, kleinen Kerle, nur halt nicht für die kleine Schwester. 

Da ich aber weiter nervte, erzählte
er von der Hexe Maule Graule, die dort herrschte und kleine Mädchen 

hasste. Kiesgrube oder nicht - jetzt musste er mir versprechen, mir die Hexe Maule Graule zu zeigen. 

Und irgendwann rief er mich tatsächlich mit den Worten: "Komm schnell, da drüben läuft sie," ans Fenster.

Ich sah eine gekrümmte Gestalt mit einer riesigen Hakennase und einer seltsamen schwarzen Bekleidung, 

die mich erschauern ließ. Schon aus Furcht vor dieser Hexe verzichtete ich auf die Kiesgrube.

Jetzt lief sie aber öfter vorbei und ich versteckte mich jedes Mal ängstlich. Inzwischen sah ich auch junge

Hexen ohne Hakennase, die weniger bedrohlich wirkten. Ich glaube, es dauerte zwei Jahre, bis mir klar

wurde, dass ich 
eine Heidenangst vor Nonnen gehabt hatte. 
****

Und die Kiesgrube? Die galt, nachdem ein Junge dort zu Tode kam, offiziell als gefährlicher Spieplatz! 

Aber Manni war sowieso nicht mehr daran interessiert, er hatte sein Herz für Liguster Schwärmer, 

Ringelspinner, Kiefernschwärmer und andere Raupen und Käfer entdeckt.sonderbar

Auch sonderbar - aber wenigstens nicht so gefährlich wir herumliegende Granaten.  


Mit der Zeit wurde Manni zwar vernünftiger aber nie gehorsamer!


Sollte er etwas besorgen, schmiss er das Geld in den Briefschlitz, verschwand von der Bildfläche und

kehrte erst spätabends zurück. Meine Mutter, die sich bereits 
sorgte, hörte seine Stimme aus dem

Garten, sah ihn aber nicht. Er saß hoch oben zwischen den Ästen der riesigen Birke und da wollte er

bleiben, bis ihm Straffreiheit zugesichert wurde. Sie war nicht bereit, sich
erpressen zu lassen, musste

aber irgendwann nachgeben. Die Angst, er könnte sich schwer verletzen, überwog immer wieder.
..
..
Somit blieben alle Besorgungen an mir hängen.
Die Kohlen waren zwar das verhaßteste, doch

hauptsächlich ging es um Hausarbeit, Einkaufen und um die Aufsicht der kleineren Geschwister. Allein

die drei waren ein
Fulltime Job, den ich gut meisterte, dann aber doch erleichtert war, als die Jüngste

ihren 6. Geburtstag feierte. 


Und dann kam noch ein Mädchen zur Welt!

Ich erinnere mich, dass meine Mutter die Geburt ganz allein bewältigt hatte. Als ich nachts mit meiner

Tante Christa zum Arzt rannte, sah ich das Kind schon unter ihren Beinen herumliegen. Nur die

Nabelschnur hatte meine Mutter noch nicht durchgebissen. Als 10- jährige hätte ich das gar nicht sehen

sollen, doch meine Tante fürchtete sich, nachts allein durch die Gegend zu laufen. 

Die Hebamme hatte sich verspätet! Sie kam mit dem Fahrrad aus einem fernen Dorf, und ob das nicht

gereicht hätte, kam sie an einem Betrunkenen nicht vorbei, dem sie aus dem Graben geholfen und direkt

nachhause gebracht hatte. Ach ja, es hat auch noch in Strömen gegossen und als sie endlich eintrudelte,

war alles vorbei und das Kind schon gewaschen, gewickelt und gefüttert worden.

Marie Luise, die wir Marlies nannten, war lieb und niedlich und hat, so weit ich mich erinnere, fast nie 

geschrien. Da die anderen schon selbstständiger waren, hatte ich Zeit für
kilometerlange Ausflüge mit

Marlies. Sie wurde mein neuer Fulltimejob, gerade so als wäre ich die Mutter, was meine Mutter

wiederum nicht störte.

//**
Meinen Vater vom Alkohol fernzuhalten, war ebenfalls ein Fulltimejob.

Sofern ich ihn zu seinen Jobs begleitete! Zuhause habe ich ihm sogar manche Flasche Wein vom Einkauf

mitgebracht. Meine Mutter war immer dagegen, doch sein "Bitte Heidelchen, noch eine zum Abgewöhnen"

wirkte wie ein "Sesam öffne dich"! Ich verstand nie, welcher Teil von diesem, weder glaubwürdig - noch

witzigen, Satz ihr Herz erweichen konnte.

Ich musste seine Flaschen anschleppen und er übernahm nicht einmal die Kohlen Versorgung. 
Natürlich

hätte er Kohlen holen können, doch er schämte sich zu sehr! Ein erwachsener Mann mit dem

Kinderwagen voller Kohle - unmöglich! Mit einem Kinderwagen voller Weinflaschen wäre er meilenweit

gelaufen, aber das wäre auch ein erhabener Anblick für das Auge des Alkoholikers.

Es ließ sich nicht leugnen - als Vater hatte er auf ganzer Linie versagt!


Was nicht heißt, dass uns ein Dauercholeriker oder eine Hitler Kopie lieber gewesen wäre.

Er vernachlässigte jegliche Vaterpflichten, ließ uns dafür aber auch meistens in Ruhe. Ich glaube, zu

dieser Zeit gab es viele Kinder, die, trotz ihrer regelmäßigen Mahlzeiten, unglücklicher waren als wir.

Die vorwiegend engstirnigen Väter hatten streng zu sein und die Mütter hatten nichts zu melden.

Unser Vater hatte sein künstlerisches Talent, seine 
Laster und seine unberechenbaren Ausbrüche,

die immer berechenbarer wurden. Aber er spielte sich nicht auf und erwartete nicht die Ehrfurcht,

die einer der strengen Holzköpfe gefordert hätte.

*****

Meine Mutter war schwerer einschätzbar - sie war eine Frau mit vielen Facetten. Sie wurde uns 

gegenüber nie aufbrausend, konnte liebevoll - aber auch ziemlich unterkühlt sein. Kein Wunder,

welche Frau hätte an der Seite meines Vaters ihr harmonisches 
Gleichgewicht behalten? 

Trotzdem waren wir entsetzt, als sie plötzlich drohte, uns wegzugeben. "Ich habe die Nase voll! 

Wenn das so weitergeht, gebe ich euch alle ins Heim“ hörten wir sie immer öfter sagen. 

"Warum gleich alle? Sollen alle für einen büßen, oder hat sie einfach alle und jeden satt" fragten wir 

uns ratlos. "Aber nein, sie fürchtet, dass man euch, wegen des Suffkopps, wegnehmen könnte"
 
verriet Tante Christa. "Ja will sie uns weggeben, um den Ämtern zuvorzukommen?" fragten

wir verblüfft. Sehr logisch fanden wir das nicht, aber sie war ja eine Frau mit vielen Facetten.
 

Wir wollten weder weggenommen noch weggegeben werden und hatten plötzlich auch die Nase

voll! „Gib uns ins Heim, am besten sofort, dann kriegen wir heute Abend wenigstens etwas zu

essen" schlugen wir ihr vor. Danach – kein Wort mehr über Heim oder Heimkinder!

*** 
......
Als ich in den großen Ferien Erbsen pflücken wollte, war ich 11 Jahre alt. Höchste Zeit mir das
 
Taschengeld zu verdienen, dass es bei uns ja nie gegeben hat. Leider hatte meine Mutter überhaupt
 

keine Lust, mich morgens um 4:00 Uhr zu wecken. "Da wirst du nur ausgenutzt und verschleißt mehr
 
Klamotten, als die Sache wert ist"argumentierte sie. Gehorsam wie immer - fügte ich mich und ging

enttäuscht schlafen.

Plötzlich war ich hell wach! Da es noch sehr früh sein musste, schlich ich mich zur Küchenuhr, die 

Punkt 4:00 Uhr anzeigte. Es sollte also sein!  Auf Zehenspitzen holte ich mir einen Eimer, zog mich 

geräuschlos an und sprang aus dem Schlafzimmer Fenster.

Dabei fühlte ich mich nicht aufmüpfig, das Schicksal hatte für mich entschieden und für eine so große
 
Sache kann man sich auch gern ein paar Ohrfeigen einfangen.

Kam aber ganz anders!


Meine Mutter, die von meinem inneren Wecker nichts wissen konnte, dachte, ich hätte die ganze Nacht

wach gelegen. Ob sie gerührt war oder sich schämte, jedenfalls hieß es: "Wenn du es so dringend willst,

wecke ich dich jetzt jeden Morgen um 4:00."

Ja manchmal konnte die Frau mit den vielen Facetten sehr verständnisvoll sein! 

******

"Ein Alkoholiker und 7 Kinder - da ist die schwere Kindheit vorgezeichnet" sagte mal eine 

Nachbarin. Sicher, wir hatten genügend Gründe uns zu beklagen - aber wir kannten auch fröhliche 

Momente. Wir hatten zwar keine leichte, doch hin und wieder eine schöne Kindheit.
 
Wir hatten uns! Unser Glück war unser großer Zusammenhalt! Als Kiki kränkelte und ausschließlich 

für sie Butter besorgt wurde, wäre niemand auf die Idee gekommen, zu murren, Wir hätten sogar
 

tagelang gehungert, damit sie gesund wird. 
 
Als ich die Masern hatte, brachte mir mein Bruder Ernsti des Essen mit den Worten: "Ich bin der 

einzige, der dich bedienen darf, weil ich das schon hatte." Der Kranke war König im Haus und

Ernsti war regelrecht stolz, die kleine, kranke Königin bedienen zu dürfen. Bei diesen Sonder - 

Rücksichtsnahmen wäre ich gern öfter krank gewesen, aber dazu war ich leider zu robust. 
***

Ein besonderes Highlight des Sommers war die Badeanstalt! 


Hier waren wir beinahe täglich und da wir gute Schwimmer waren, machte meine Mutter sich keine 

Sorgen. Das musste sie auch nicht, wir passten gut aufeinander auf und hatten trotzdem das Gefühl 

von totaler Freiheit! Es waren ja nicht nur 2 - 3 Sommer -  die Badeanstalt spielte während unserer 

gesamten Kindheit eine riesengroße Rolle. Hier waren wir so glücklich und unbeschwert, dass es egal
 
war, ob unser Vater ein Säufer oder Millionär war.
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Und ich erinnere mich an das Glücksgefühl, das mich überkam, wenn ich die Sonne schmeckte. Das
 

habe ich als Kind sehr genoßen - und manchmal - ganz selten - passiert es mir noch heute. Es ist die 

reine Sonne mit einer leichten Brise frischer Luft, aber das lässt sich schwer erklären, das muss wohl
 
jeder selbst erleben.


Die Sonne hat mich auf vielfältige Weise beglückt, im Wasser habe ich mich leicht und unbesiegbar gefühlt,

ich liebte es wenn der zarte Wind mit meinen Haaren spielte und der Regen auf meiner Haut ließ mich beim

Radeln singen und im Gleichklang mit der Umwelt fühlen.   

Schwer oder leicht, wer als Kind so liebevoll von der Natur umfangen wird, hat eine glückliche Kindheit!







Ahondissa




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